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Plastikabkommen: Befreit sich die Welt von der Flut an Plastikmüll?

Die Verhandlungen zum weltweiten Plastikabkommen gehen in die vierte Runde. Am Ende könnte eine historische Vereinbarung stehen. Doch die Gespräche stehen an einem kritischen Punkt.
Im Vordergrund ein STrand mit Plastikmüll, im Hintergrund Meer, am Himmel weiße Wolken
Jährlich produziert die Welt mehr als 460 Millionen Tonnen Kunststoffe. Will man die Müllflut eindämmen, muss man die Produktion drosseln, argumentieren Fachleute.

In sieben Monaten will die Weltgemeinschaft einen Plan vorgelegt haben, um die globale Plastikflut einzudämmen. Doch das internationale Plastikabkommen, über das Vertreterinnen und Vertreter der Vereinten Nationen ab dem 23. April 2024 im kanadischen Ottawa weiter beraten werden, droht zu scheitern. Das von Dienstag bis zum kommenden Montag angesetzte Treffen ist die vierte von fünf Verhandlungsrunden. Am Ende soll ein für alle Staaten bindendes Regelwerk stehen, durch das weniger Kunststoffe in der Umwelt gelangen. Doch ausgerechnet eine entscheidende Regelung ist umstrittener als je zuvor.

Der Umwelttoxikologe Martin Wagner von der Universität Trondheim sieht die Verhandlungen vor der vierten Runde deswegen an einem kritischen Punkt. Positiv sei, dass die Länder noch bis Jahresende Zeit hätten, ein Abkommen auszuarbeiten. Doch »die schlechte Nachricht ist, dass die Länder heute weiter voneinander entfernt sind als letztes Jahr«, konstatiert er in einem Leitartikel für die Fachzeitschrift »Nature«. Es drohe die Gefahr, dass die Gespräche komplett zum Stillstand kämen oder am Ende ein schwaches Abkommen stünde, mit dem sich die Müllflut nicht wirksam eindämmen ließe. Eine Vereinigung von mehr als 300 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen fordert hingegen ein starkes Abkommen, das explizit begrenzt, wie viel Plastik neu hergestellt wird. »Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass der allerwirksamste und kostengünstigste Hebel tatsächlich eine Reduktion der Produktion ist«, sagte die Meeresbiologin Melanie Bergmann vor der dritten Verhandlungsrunde im Interview mit »Spektrum«.

Doch mehrere Parteien wehren sich gegen eine solche Begrenzung. In den Runden sitzen neben den Delegierten der Nationen verschiedene Interessengruppen, etwa Nichtregierungsorganisationen sowie Allianzen aus der Wirtschaft und der Wissenschaft. Gerade Industriegruppen hätten bei den letzten Treffen stark versucht, die Richtung der Gespräche zu beeinflussen, sagt Melanie Bergmann. In der dritten Verhandlungsrunde in Nairobi haben Erdöl fördernde Länder den Prozess so weit in die Länge gezogen, dass die Parteien praktisch keinen Fortschritt erzielten.

Global Plastics Treaty

Das Global Plastics Treaty oder UN-Plastikabkommen soll als internationale Vereinbarung Maßnahmen gegen die globale Verschmutzung mit Plastikmüll festschreiben. Rückstände und Abbauprodukte bedrohen auf vielfache Weise Lebensräume und ihre Bewohner. Selbst die entlegensten Regionen der Erde sind inzwischen davon betroffen.

Im März 2022 hatte die Umweltversammlung der Vereinten Nationen (United Nations Environment Assembly, UNEA) den Start von Verhandlungen für ein solches Abkommen beschlossen. In fünf Verhandlungsrunden soll das Intergovernmental Negotiating Committee (INC) einen entsprechenden Vertragsentwurf ausarbeiten, der dann in der letzten Runde Ende November 2024 im südkoreanischen Busan zur Abstimmung stehen soll. Bisherige Sitzungen fanden 2022 in Punta del Este (Uruguay) sowie 2023 in Paris und Nairobi statt. Die vierte Verhandlungsrunde tagt in Ottawa.

Plastik im Baum | Durch Verwitterung und Alterung zerfällt Kunststoff in immer kleinere Partikel, Mikro- und Nanoplastik.

Wie viel Plastikmüll genau jedes Jahr seinen Weg in die Landschaft, in Flüsse und Ozeane findet, lässt sich immer noch nicht genau beziffern. Klar ist jedoch: Die Fracht an Kunststoff wird mehr und mehr. Seit den 1950er Jahren, als man begann, Kunststoffe großtechnisch herzustellen, hat die Industrie weltweit zirka 8,3 Milliarden Tonnen Polymere hergestellt. Jährlich kommen derzeit rund 460 Millionen Tonnen dazu. Prognosen zufolge soll die Produktion in den kommenden Jahrzehnten noch drastisch steigen. Das Problem: Kunststoffe sind dazu geschaffen, beständig zu sein – sie bauen sich in der Natur nicht ab.

Neben großen Teilen an Kunststoffmüll sind in den letzten Jahren verstärkt kleinste Plastikpartikel und ihre Wirkung auf Menschen, Tiere und Pflanzen in den Fokus der Forschung gerückt: Mikroplastik – das sind Kunststoffstückchen von wenigen Mikrometer bis zu 5 Millimeter Größe – finden Fachleute heute an allen erdenklichen Orten auf unserem Planeten. Der Wind trägt sie selbst in die unberührten Regionen der Arktis und Antarktis, winzige Algen transportieren sie auf den Meeresgrund.

Bedenkliche Inhaltsstoffe

Als problematisch sehen Forscherinnen und Forscher neben dem offensichtlichen Müll auch die für das Auge unsichtbaren Inhaltsstoffe der Plastikpartikel. Ob Weichmacher, Flammschutzmittel, Farbstoffe oder andere Zusätze: Kunststoffe sind Mischungen aus verschiedensten Substanzen, die ihnen die gewünschten Eigenschaften verleihen. Insgesamt bringt man heute rund 16 000 Chemikalien mit Kunststoffen in Verbindung. Wie ein Team um den Umwelttoxikologen Martin Wagner von der Universität Trondheim im März 2024 ermittelt hat, sind rund 4000 davon als bedenklich einzustufen.

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